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Kein schoener Abschied von Bolivien

Heute muss ich mir erst mal den Frust von der Seele schreiben. Ueber die Zeit zwischen Coroico und Copacabana werde ich ein anderes Mal berichten. Wer Tiere mag und sich nicht den Tag versauen will, liest am besten gar nicht erst weiter.

Ich bin zur Zeit am Titicacasee im bolivianischen Ort Copacabana. Heute nachmittag wollte ich eigentlich nach Puno in Peru fahren. Mittags bin ich nochmals runter Richtung Strand gelaufen um vorher zu Mittag zu essen. Auf der Strasse kam mir ein verletzter Hund entgegen. Die Vorderbeine ueber und ueber mit Blut. Aus der groessten der Wunden am rechten Vorderbein spritzte sogar Blut, ein richtiger Strahl, der im hohen Bogen herausschoss. Spaeter habe ich erfahren, dass ein Auto den Strassenhund angefahren hatte. Der Autofahrer ist natuerlich einfach weggefahren.

Ich habe also angefangen, mich um den verletzten Hund zu kuemmern, dabei haben mir zwei Ordensschwestern geholfen, die zufaellig auch an Ort und Stelle waren. Eine kommt urspruenglich aus Deutschland, lebt und arbeitet aber schon seit 20 Jahren in La Paz. Das was sehr hilfreich, da ich so jemanden hatte, mit dem ich auf Deutsch sprechen konnte und der fliessend Spanisch konnte.

Zunaechst habe ich dem Hund die offene Wunde mit einem Taschentuch zugehalten, um den Blutverlust zu stoppen. Die Schwestern haben Stoff in Form eines alten T-Shirts von einer Ladenbesitzerin bekommen und damit haben wir beide Beine notduerftig verbunden. Ich habe angeboten, den Tierarzt fuer den Hund zu bezahlen, damit ihm geholfen werden kann. In der Tat gibt es sogar einen in Copacabana. Nun mussten wir mit dem verletzten und vor Blut triefenden Hund aber erst mal dort hinkommen.

Um mich nicht voellig einzusauen und die Chancen zu erhoehen, dass uns ein Taxi mitnimmt, habe ich nach einer grossen Plastiktuete gefragt und von der Ladenbesitzerin auch eine bekommen. In die haben wir dann die Vorderbeine des Hundes gesteckt und ich habe ihn die Strasse hoch getragen, bis wir ein Taxi gefunden haben. Beim Tierarzt hatten wir erst mal Glueck, wir haben das Haus recht schnell gefunden und er war sogar da. Das war aber auch das letzte Positive, das geschehen sollte.

Zunaechst muss man mal die deutsche Vorstellung von Tierarzt hinter sich lassen. Da gibt es keine Tierarztpraxis oder so was. Und ob der Tierarzt wirklich Tiermedizin studiert hat, steht in den Sternen. Der Hund wurde also im Hof vom Tierarzt untersucht. Das traurige Ergebnis: der Tierarzt konnte ihm auch nicht helfen. Am rechten Bein war eine grosse (mindestens 15cm lang und mehrere cm breit) und tiefe Wunde und die Vene (oder Arterie, was weiss ich), aus der, wenn man den “Verband” abnahm, nach wie vor das Blut spritzte (woertlich, nicht bildlich) war auf langer Strecke voellig durchtrennt.

Nun bin ich kein (Tier)mediziner, aber ich glaube, in Deutschland haette dem Hund geholfen werden koennen. (Kann da jemand auf Basis meiner Beschreibung der Verletzung halbwegs qualifiziert Stellung zu nehmen? Vielleicht einfach mal beim naehsten Tierarztbesuch danach fragen? Ich wuerde einfach gerne wissen, ob/was haette getan werden koennen/muessen.) Aber hier in Bolivien sind zum einen der Stellenwert eines Hundes, vor allem aber die Moeglichkeiten seiner aerztlichen Versorgung wesentlich geringer. Jedenfalls war hier dem Hund nicht zu helfen und so blieb nur die Option ihn einzuschlaefern. Aber auch das ist hier nicht so einfach.

Der Tierarzt hatte kein entsprechendes Mittel da. Also ist er mit Kleinbussen bis nach Peru gefahren, um welches zu kaufen. Ich bin derweil beim Hund geblieben, habe ihn beruhigt, gestreichelt und bei Bedarf Wasser gegeben. Die Ordenschwestern haben sich wieder auf ihren Weg gemacht, allerdings nicht ohne mir vorher zu versichern, dass ich ein guter Mensch sei und dass der Hund mich bestimmt an der Himmelspforte begruessen wuerde, wenn ich dereinst einmal sterben wuerde.

Nach 1,5h war der Tierarzt zurueck und der Hund bekam die Injektion. Eigentlich war es uebrigens eine Huendin. Und sie war sogar schwanger, wie der Tierarzt mir erklaerte. Normalerweise stirbt ein Hund innerhalb von 30min nach der Injektion, aber sie hatte eine starke Kondition und blieb unbeachtet einsetztender leichter (Atem)laehmungen am Leben. Nach 30min bekam sie eine zweite Dosis, aber auch die reichte nicht aus. Ich habe mich derweil die ganze Zeit ueber um den Hund gekuemmert. (Wahrscheinlich hat sie als Strassenhuendin im ganzen Leben nicht so viele Streicheleinheiten bekommen wie in den Stunden nach dem Unfall.)

Jetzt standen wir vor dem Problem, dass das Einschlaeferungsmittel alle war und es zu spaet war, als dass der Tierarzt in Peru haette mehr kaufen koennen. Ich habe uebrigens immer wieder gefragt, ob man dem Hund nicht doch irgendwie so helfen koennte, dass er am Leben bleibt, aber da war nichts zu machen. Als naechstes hat der Tierarzt versucht, ihr oral ein Gift zu verabreichen. Warum er es nicht zuerst damit versucht hatte, weiss ich nicht. Wie dem auch sei, sie hat das aber ohnehin wieder ausgespuckt/gewuergt.

Ich habe dann den Sohn des Tierarzts mit dem Fahrrad losgeschickt, Fleisch zu kaufen, in der Hoffnung, die Huendin wuerde es vielleicht essen und wir koennten ihr das oral einzunehmende Gift so verabreichen. Aber – kein Wunder in ihrer Verfassung – sie frass nichts.

Wirklich helfen ging also nicht, die Medikamente zum Einschlaefern waren alle, und den Hund einfach so langsam und Elend sterben zu lassen kam fuer mich auch nicht in Frage.

Der Tierarzt erklaerte mir die letzte Alternative. Normalerweise werden Tiere hier nicht eingeschlaefert, da das fuer die Bolivianer zu teuer ist. Statt dessen werden sie mit einerm Strick erwuergt. So grauslich das auch ist, immerhin geht es schneller als mit einer offenen Wunde langsam zu verenden. Der Tierarzt konnte/wollte/was-auch-immer es nicht selbst tun (und ich auch nicht), aber er sagte, es gaebe im Ort einen einzigen Mann, der das machen wuerde. Der kaeme aber erst abends wieder nach Hause.

Bis dahin habe ich, glaube ich, alles so richtig gemacht, wie ich konnte, aber nun habe ich einen Fehler gemacht. Der Tierarzt musste noch zu einem anderen Patienten und die Familie wollte mich wohl nicht die ganze Zeit im Hof haben. Ich habe mich also darauf eingelassen, in einer Stunde wieder zu kommen. Der Tierarzt waere dann wieder zurueck und wuerde dann besagten Mann suchen, der bald darauf wieder zurueck in der Stadt sein muesste.

Gluecklich war ich damit nicht, da ich dem armen Hund wenigstens die letzten schlimmen Stunden so “angenehm” wie moeglich machen wollte. Er hatte inzwischen eine Art Bindung zu mir, da ich mich inzwischen ueber dreieinhalb Stunden durchgehend um ihn gekuemmert und ihn gestreichelt hatte, und ich glaube er war dankbar fuer den Beistand und die Zuwendung (dem einen oder anderen ist das jetzt vielleicht etwas zu menschlich ausgedrueckt, aber ich denke es trifft es ganz gut). Trotzdem kam ich der Aufforderung nach und ging.

Als ich nach einer Stunde zurueck kam, war die Huendin tot. 20 Minuten nachdem ich gegangen war, ist sie noch ein paar Schritte gehumpelt und dann hat das Einschlaeferungsmittel doch noch gewirkt (oder war es der Blutverlust?) und sie ist gestorben. Der Tierarzt und seine Familie hat sich mit Sicherheit nicht gross um sie gekuemmert, wahrend sie starb. Waere ich doch wenigstens dageblieben, haette ich ihr zumindest die letzten Minuten beistehen koennen.

8 Responses to “Kein schoener Abschied von Bolivien”

  1. Jana
    July 13th, 2008 16:07
    1

    Hoffe, dass jetzt der richtige traurige Smilie erscheint, wenn nicht musst Du den Kommentar löschen, Arne:

    Wirklich traurig, die Geschichte!

  2. Arne
    July 13th, 2008 23:29
    2

    Da erscheint zwar gar nix nach dem Doppelpunkt, aber ich denke, wir koennen den Kommentar trotzdem stehen lassen.

  3. Random Thoughts » Titicacasee, Copacabana, Peru!
    July 15th, 2008 03:12
    3

    […] hoechste Schoepfergott der Inkas, auf einem heiligen Stein Sonne und Mond erschaffen hat – und dem traurigem Erlebnis am Tag drauf bin ich dann mit oeffentlichen Transportmitteln nach Puno in Peru gefahren. Es tut mir […]

  4. Yvusch
    July 21st, 2008 16:08
    4

    ui. Wie schlimm.

    Yvusch

  5. Arne
    July 25th, 2008 17:27
    5

    Zur Frage, ob man dem Hund haette helfen koennen, aus einer E-mail meiner Eltern:

    Wir haben, als wir (…) (beim Tierarzt) waren mal die Sache mit dem Hund in Bolivien angesprochen. Er meint, dass es wohl die Beinartherie gewesen sein muss und deshalb hat es so stark geblutet. Auch in Deutschland hätte man den Hund nur durch eine Amputation retten können.

    Und das ist unter den Umstaende keine Option gewesen.

  6. Sigrid
    August 5th, 2008 12:29
    6

    Dein Bericht hat mich sehr erschüttert, leider hat auch in Deutschland in einigen Regionen der Hund kein großen Stellenwert.Sigrid

  7. Sandra
    August 12th, 2008 10:23
    7

    In manchen Regionen Deutschlands hat nicht mal der Mensch einen großen Stellenwert.

  8. Martina Strieder
    December 22nd, 2008 04:26
    8

    Hab hier nur mal kurz reingeschaut und möchte dazu kurz was anmerken.
    Vielleicht schaut Ihr mal bei http://www.veda-bolivia.org rein und wenn Ihr irgendeine Beziehung zu Bolivien habt, wäre es nett, wenn Ihr für uns ein wenig Propaganda machen könntet. Mit der Zeit werden wir vielleicht auch die Mittel zur Verfügung haben, um Freiwillige einzusetzen. Vorläufig nutzen uns jedoch mehr ( passive und aktive ) Mitglieder, Werbung allerorten, usw.
    In Santa Cruz fressen offensichtlich die Zoolöwen entlaufene Haustiere und Strassenpferde – ich nähere mich dem Zoo nicht, weil ich andere Dinge kenne und auf dem Standpunkt stehe, dass er geschlossen werden sollte, aber das mit den Tieren, die angeblich lebend den Löwen vorgeworfen werden, will ich mir nicht anschauen. Andere Bestialitäten kenne ich persönlich. Siehe, u.a., Website von VEDA.
    Der Umgang mit den Tieren hier geht einher mit dem allgegenwärten Baum – und Naturhass und Umweltzerstörung in Bolivien, der chronischen Ignoranz, dem gegen Null tendierenden Bildungsniveau ( Akademiker zu sein, das heisst nicht unbedingt, Bildung zu besitzen, gerade hier!), dem offensichtlich grossen Prozentsatz von geistig behinderten Personen in Bolivien – und der Lynchjustiz, dem Organ – und Drogenhandel, den Vergewaltigungen, der Kriminalität und so weiter.
    Es hat hier keinen Sinn, sich für die Menschen einzusetzen, wenn man nicht für die Tiere um hundertprozentige Integrität und Respekt kämpft – ohne den Weg des geringsten Widerstandes der Ausreden, der Morde oder des Ãœbersehens.
    Tiere haben genau dieselben Rechte wie wir Menschen auf ihr Leben und auf Respekt – solange man sich dafür hier nicht einsetzt ( auch klipp und klar die katholische Kirche ), bleibt Bolivien ein Land der Lügner, Räuber, der geistig behinderten, die Vergewaltiger, der systematischen Abholzer, der Lynchjustiz, der Armut,der Borniertheit und Ignoranz, etc.
    Martina Strieder, Bolivien